Corona als Digitalisierungs-Booster - Dr. Dilan Sert im Interview

von Julian Caligiuri

Ärztin und Gründerin Dr. Dilan Sert erklärt im FUTUREwork-Interview, wie sie mit ihrem Start-Up den Ärztemangel bekämpfen will und warum sie sich von der Pandemie mehr Technologieoffenheit erhofft.

Dr. med. Dilan Sert, CEO und Gründerin von SeDiDoc

Dilan Sert ist Ärztin und Unternehmerin. Mit dem Leipziger Start-Up SeDiDoc hat die gebürtige Duisburgerin 2018 eine Plattform gegründet, auf der selbstständige ÄrztInnen und PflegerInnen ihre Dienstleistungen anbieten können. Ein intelligenter Algorithmus vermittelt dann Einsätze an suchende Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen. In der Corona-Krise sei ihr Start-Up mit der effizienten und flexiblen Personalvermittlung gefragter denn je.

Du bietest Deine Plattform in der Corona-Zeit kostenlos an. Was ist der Grund?

Effizienz im Gesundheitswesen ist das Gebot der Stunde. Wir glauben, dass wir gerade jetzt einen wichtigen Beitrag leisten können und haben kurzerhand entschlossen, unseren Service kostenlos anzubieten. Kurzfristige Einsätze sind nämlich genau das, was Kliniken aktuell brauchen.

Wie funktioniert der Service?

Auf der Plattform können medizinische Einrichtungen ihren Bedarf eingeben und legen konkrete Anfragen an. Zum Beispiel: Klinik X braucht nächsten Montag von 8 bis 18 Uhr einen Pfleger. Diese Anfrage erhalten dann alle registrierten Pfleger, die für diesen Auftrag in Frage kommen. So vermitteln wir schnell und zielgenau Aufträge. Alle dazugehörigen Dokumente, also Verträge, Laufzettel, Rechnungen usw. generieren wir automatisch. Manuell ist das ein sehr komplexer und langer Prozess, den wir komplett durchdigitalisiert haben.

Wie kamst Du auf die Idee?

Mir ging es in erster Linie um den Ärztemangel. In Deutschland haben wir zwar mit die höchste Ärztedichte weltweit. Unser Personaleinsatz ist aber maximal ineffizient. Ich war selbst Stationsärztin und habe damals die Einsatzplanung manuell machen müssen. In vielen Krankenhäusern läuft das noch sehr bürokratisch und papierlastig ab. Ich habe mich damals gefragt, wieso ich mich als Ärztin mit solchen Dingen herumschlagen muss und die Zeit nicht sinnvoller nutzen kann. Die vorhandenen Ressourcen könnten viel besser eingesetzt werden. Das ist eine volkswirtschaftliche Katastrophe. Da plagen sich hochqualifizierte Leute mit irgendwelchen Dokumentationspflichten und Routineaufgaben rum. Für die Patientenversorgung oder die Forschung bleibt dann weniger Zeit. Mit einem Entwicklerteam habe ich dann eine Matching-Plattform zur besseren Personalplanung auf die Beine gestellt. So ist SeDiDoc entstanden.

Mit welcher Motivation melden sich Leute auf der Plattform an?

Circa 25 Prozent der Ärzte sind nicht in ihrem eigentlichen Beruf tätig. Für viele passen die starren Arbeitsmodelle in Praxen und Krankenhäusern spätestens mit der Familiengründung nicht mehr und sie fallen aus dem System. Der größte Karriereknick ist leider nach wie vor die Schwangerschaft. Viele Ärztinnen wollen weiter arbeiten, nur eben flexibler und selbstbestimmter. Vielleicht auch nur wenige Stunden im Monat. Unsere Plattform bietet ihnen die Möglichkeit weiter in ihrem Beruf tätig zu sein. Mit SeDiDoc haben wir es uns zum Ziel gesetzt diese bisher weitgehend ungenutzten Ressourcen für unser Gesundheitssystem zu nutzen.

Digitalisierung wird ja besonders im Gesundheitswesen sehr kritisch gesehen…

Richtig, aber die Pandemie ist ein absoluter Digitalisierungs-Booster. Viele Abneigungen waren über Nacht wie weggewischt und wir erhalten durchweg positives Feedback. Das war nicht immer so. Vorher mussten wir viel Überzeugungsarbeit leisten – auch ganz grundsätzlich, dass Digitalisierung etwas Positives im Gesundheitswesen sein kann. Jetzt sehen wir, wie sinnvoll neue Technologien eingesetzt werden können. Zurzeit kommen mehr Nachfragen für unser Produkt rein als je zuvor. Das ist eigentlich auch tragisch, weil es zeigt, wie viel Potential über Jahre liegengeblieben ist.

Wo steckt denn noch Potential?

In der Telemedizin steckt unglaubliches Potential. Studien zeigen, dass rund 80 Prozent der Erstanfragen nicht mit einem Arzt stattfinden müssten. Es ist absolut unnötig dafür in die Notaufnahme oder zu einem Arzt zu gehen. Das könnte auch einfach spezialisiertes Krankenhauspersonal machen. Oder aus eigener Erfahrung als Assistenzärztin: Es gab Tage, an denen ich von morgens bis nachmittags Patienten vor Eingriffen nur Aufklärungsbögen vorgelesen habe. Es gab praktisch nie Rückfragen, weil natürlich auch schon mit dem behandelnden Arzt gesprochen wurde. Das könnte man sehr leicht digitalisieren und Ressourcen besser einsetzen. Es gibt viele Start-Ups mit großartigen Ideen auf diesem Gebiet.

Was wünschst Du Dir von der Politik?

Mehr Offenheit für Neues. Und das nicht nur in Krisensituationen. Wir müssen da unsere Mentalität verändern. Während die Amerikaner oder Asiaten einfach mal machen, analysieren wir so lange alle möglichen Optionen, bis andere uns überholen. Es ist ja gut, dass wir einen so hohen Anspruch haben, aber wenn man nicht abgehängt werden will, muss man sich auch einfach mal etwas trauen. Das ist auch eine riesige Herausforderung für Gründerinnen, weil ein mögliches Scheitern immer mit einem Stigma einhergeht. In meinem Bereich sehe ich ja, wie sehr wir uns beim Thema Arbeit an etablierte Konzepte klammern. Vorbehalte gegenüber flexiblen Arbeitsformen müssen endlich abgebaut werden. Da sollte man viel mehr die Chancen in den Blick nehmen. Wir haben einen sehr starren Rechtsrahmen, der sich an längst überholten Konstrukten orientiert und flexibles Arbeiten sehr schwierig oder sogar unmöglich macht. Das hat mit der heutigen Arbeitswirklichkeit nicht mehr viel zu tun.

Könnte Corona hier eine Chance sein?

Ja. Wir sehen gerade, dass eben nicht alles selbstverständlich ist und wir für Erfolg auch mal zu kreativen Mitteln greifen müssen. Statt Risikodebatte werden jetzt gute Ideen einfach umgesetzt. Ich hoffe nur, wir nehmen die Chance auch langfristig an und fallen nicht bald wieder in alte Muster zurück.

 

Dr. med. Dilan Sert ist CEO und Gründerin von SeDiDoc.

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