Das BAUMÄDCHEN: Mädchen brauchen starke Vorbilder

Sandra Hunke ist Installateurin, Model und Unternehmerin. Auf Instagram zeigt sich das BAUMÄDCHEN ihren fast 60.000 Followern als das komplette Gegenteil aller gängigen Geschlechterklischees. Im Interview erzählt sie, wie sie zu ihrer außergewöhnlichen Berufswahl kam und warum sie sich leidenschaftlich gegen geschlechtsbezogene Vorurteile einsetzt.

Du bist Anlagenmechanikerin und Model, eine vermutlich eher seltene berufliche Kombination. Wie kam es dazu?

Ich wuchs in einem kleinen Dorf mit ca. 800 Einwohnern in der Nähe von Paderborn in Nordrhein-Westfalen auf. Und dort wurde man geprägt durch sein Umfeld. Und mein Umfeld war – da hatte ich Glück – meine liebevolle Familie. Mein Vater ist selbständiger Fliesenleger, mein älterer Bruder selbständiger Landwirtschaftlicher Lohnunternehmer, meine Mutter ganz klassisch Hausfrau und mittendrin dann ich!

In der Schule war ich, um es mal harmlos auszudrücken, nicht gerade Everybody’s Darling. Rote Haare, Sommersprossen, dünn und schlaksig und damit das perfekte Mobbing-Opfer. Da ist es auf dem Land nicht anders als in den großen Städten oder auf Social Media: Gemobbt wird immer. Also hieß es für mich jeden Tag: Schnell die Schulbank gedrückt und in Gedanken schon auf zuhause gefreut. Da ich mich für klassische Hausfrauen-Tätigkeiten wie Kochen nicht so sehr begeistern konnte, flüchtete ich, sobald ich zuhause angekommen war, oft zu meinem Vater und Bruder in die Werkstatt. Das ist dann übrigens auch der Grund, warum ich bis heute nicht kochen kann. Während die anderen Mädchen sich brav auf ihren Kochunterricht gefreut haben, hing ich lieber mit den Jungs ab und habe irgendwas zusammengebaut.

Sandra Hunke ist Anlagenmechanikerin SHK, Model und Unternehmerin. Auf Instagram gibt sie als das BAUMÄDCHEN fast 60.000 Followern Einblicke in ihren Alltag.

Ich weiß nicht, ob die Liebe zum Handwerk genetisch in mir veranlagt ist, oder ob es vielleicht die Anerkennung meines Bruders und Vaters war, die mich immer wieder zum Handwerk hingezogen hat. Wenn ich in der Werkstatt war, konnte ich alles um mich rum vergessen. Mein Bruder und mein Vater brachten mir alles bei und weil ich offensichtlich auf dem Gebiet nicht so talentfrei war, wie für das Kochen, lernte ich alles in ziemlich kurzer Zeit. Wie schneidet man ein Brett zu? Wie mischt man Beton? Wie bohrt man ein Loch in Metall oder Stein? Heute könnte ich ein komplettes Haus ganz alleine bauen. Das würde natürlich sehr lange dauern – aber ich könnte handwerklich alles selber erledigen.

So stand für mich natürlich früh fest, ich möchte Handwerkerin werden. Aber gleichzeitig war ich im Alter von 16 Jahren natürlich auch eine junge Frau, die das Leben einer normalen Teenagerin leben wollte. Ich verbrachte an den Wochenenden also schon mal einige Zeit im Bad. Und so beschloss ich letztendlich, das Hobby zum Beruf zu machen. Wenn ich schon so viel Zeit im Bad verbringe, dann kann ich es wenigstens auch selber bauen. Also entschloss ich mich, Anlagenmechanikerin SHK (Installateurin) zu werden. Schöne Bäder bauen, kleine Wellness Oasen, tolle Schminktempel, das sollte meine Berufung werden. Und so ist mein Kindheitstraum wahr geworden, ich wurde Handwerkerin. Ein ehrenwerter Beruf, schließlich hat auch mein Vater als Selbständiger Fliesenleger immer alle bei uns zu Hause satt bekommen.

Und wie bist Du zum Modeln gekommen?

In meinem zweiten Lehrjahr habe ich dann von der „Miss Handwerk“ gehört und es meiner Freundin erzählt. Bewirb dich da, sagte sie, du bist hübsch, die nehmen Dich. Ich war unsicher. Letztendlich dachte ich mir, meine Freundin möchte nur nett sein und mich aufbauen. Denn schließlich hatten mir in der Schule jahrelang alle das Gefühl gegeben, ich sei eben nicht schön, weil ich nicht der Norm entspreche. Sie ließ aber nicht locker. Also fuhr ich mit ihr nach München zur Wahl der „Miss Handwerk“.

Das war der Moment, an dem alles begann. Mir machte es sofort Spaß, mal schön geschminkt zu werden. Mal einen Tag wie eine Prinzessin über den Laufsteg zu schreiten. In den sozialen Medien wurde der „Miss Handwerk“-Kalender überall geteilt, und ich war auf dem Cover. Das kleine Baumädchen aus Schlangen in der großen weiten Welt.

Als ich nach der Wahl wieder zuhause ankam, wartete auch schon eine E-Mail auf mich. Eine TV Produktionsfirma hatte mich im Internet entdeckt und wollte mich für das TV-Format „Das Aschenputtel Experiment“ gewinnen. Ich, das Mädchen aus vollkommen normalen, einfachen Verhältnissen, das in ihrem Beruf schon mehr Klo-Verstopfungen beseitigt als Kuchen gebacken hatte, sollte mit einem It-Girl aus Marbella 10 Tage ihr Leben tauschen. Begeistert war ich auf den ersten Blick nicht. Ich habe mich nie arm oder weniger wertvoll gefühlt und finde noch heute, man braucht sich mit Sicherheit nicht zu schämen, wenn man beruflich Klos repariert oder ganze Bäder baut.

Aber die Gage war natürlich schon verlockend. In meiner Ausbildung als Klempnerin verdiente ich 350€ im Monat und für 10 Tage sollte ich 1500€ bekommen. Also sagte ich „ja“ und flog tatsächlich nach Marbella. In Marbella gelandet, stand ich am Flughafen, und besagtes It-Girl sollte mich dort abholen. Zuerst lief sie an mir vorbei, denn sie suchte ein ungepflegtes, ärmliches Mannsweib, die als Klempnerin arbeitet und jedes Klischee bedient. Als sie mich entdeckte, war es bei Ihr mit der guten Laune vorbei. Ihr Plan war: Sie wollte sich als Model neben einem Mannsweib vor einem großen Publikum im Fernsehen perfekt in Szene setzten und so die Sympathien der TV-Zuschauer auf ihre Seite ziehen. Der Plan ging nach hinten los. Beim Strand-Shooting sah ich richtig gut neben ihr aus. Die zwei Millionen Zuschauer fanden mich sympathisch und Model-Agenturen entdeckten mich. So begann meine Model-Karriere.  Für mich ist es die perfekte Kombination. Die halbe Woche auf der Baustelle und was mit eigenen Händen schaffen und die restliche Zeit als Model unterwegs sein. Ich möchte beides nicht missen, in mir schlägt ein Klempnerherz und ein Modelherz.

Du arbeitest in einer sehr stark männerdominierten Branche. Wie wirst Du als Frau auf dem Bau wahrgenommen – von den Kollegen, aber auch von den KundInnen?

Ich arbeite inzwischen seit neun Jahren als Anlagenmechanikerin und habe wirklich fast alles erlebt. Es gibt viele positive Erlebnisse aber leider auch immer noch reichlich negative Erfahrungen. Bei meinen Kunden überwiegt inzwischen das positive Feedback. Sicherlich gibt es immer mal wieder einen Macho, der mich fragt, seit wann dürfen Frauen im Handwerk arbeiten oder bei der Arbeit hinter mir steht und schaut ob ich es auch sorgfältig mache. Aber gerade alleinstehende Frauen, sagen oft, dass sie sich sehr freuen, eine Frau im Haus zu haben und keinen fremden Mann. Bei meinen Kollegen muss ich mich anfangs natürlich immer erst beweisen. Nachdem sie meine Arbeit aber gesehen haben, akzeptieren sie mich und arbeiten gerne mit mir zusammen. Ich habe es allerdings auch schon erlebt, dass ich mich bei einer Firma beworben habe und der Chef mir im Bewerbungsgespräch sofort zugesagt hat, sich dann aber einige Tage später telefonisch bei mir meldete und mir absagte. Seine Mitarbeiter wollten nicht mit einer Frau zusammenarbeiten und hatten mit ihrer Kündigung gedroht.

Wo müssen wir aus Deiner Sicht als Gesellschaft ansetzen, um Geschlechterklischees in der Arbeitswelt zu überwinden?

Bei den Kindern und ihren Eltern! Ich bin kein Freund von Frauen oder Männerquoten. Die/Der beste soll den Job bekommen, egal ob Mann oder Frau, egal ob schwarz oder weiß. Was zählt ist der Mensch und seine Qualifikation. Und genau deshalb müssen wir bei den Kindern und ihren Eltern mit der Aufklärung beginnen. Solange die Eltern den Mädchen nur Puppen kaufen und den Jungs Fischertechnik, müssen wir uns nicht wundern, wenn es mehr Friseurinnen als Friseure gibt und mehr Techniker als Technikerinnen. Die Kinder müssen egal ob Mädchen oder Jungen, gleichermaßen selbstbewusst erzogen werden und mit allen Möglichkeiten vertraut gemacht werden. Und dann erkennen Sie schnell selbst ihr Talent und das sollte dann gefördert werden, auch und gerade wenn es nicht dem Geschlechterklischee entspricht. Außerdem müssen wir die sozialen Medien nutzen, um den jungen Leuten zu zeigen: Egal ob Mädchen oder Junge, du kannst alles werden. Hierbei ist es aber ganz wichtig, dass wir die jungen Menschen verstehen und einen Zugang zu ihnen finden. Wenn auf Instagram und TikTok die Mädels nur im Bikini rumspringen und die Jungs alle Autoexperten und Börsengenies sind, wird sich nichts ändern.

Was können wir tun, um mehr Mädchen für Technik und technische Berufe zu begeistern?

Den Schülerinnen und Schülern mehr Girls-Day und Boys-Days anbieten. In der Schule beiden Geschlechtern auch die Berufe näherbringen, die nicht geschlechtertypisch sind. Ich selbst schreibe gerade mit der Erfolgsautorin Britta Sabbag zusammen das Kinderbuch „Bella Baumädchen“. Es erscheint im März 2022 und erzählt von einem Mädchen, das lieber werkelt als mit Puppen zu spielen. „Bella Baumädchen“ war längst überfällig. Dieses Bilderbuch zeigt Kindern und insbesondere Mädchen auf, dass sie alles sein können: Auch Baumädchen. Die Trennung in Männer- und Frauenberufe hat in der heutigen Zeit keine Berechtigung mehr. Mädchen brauchen starke Vorbilder, die ihnen zeigen, was alles möglich ist. Bella Baumädchen ist so eines.

Du bist ja auch eine erfolgreiche Influencerin. Wie ist da das Feedback zu solchen Themen auf Instagram? Sieht Du bei den jüngeren Generationen einen Mentalitätswandel mit Blick auf solche Klischees in der Berufswelt?

Ich selbst sehe mich nicht als Influencerin. Zumindest bin ich weit von den Mädels entfernt, die in Dubai leben, um Steuern zu sparen und ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Jugendlichen überteuerte Tees, Leggings oder Schminke zu verkaufen. Aber da hast du Recht, ich influence die Menschen mit meiner Arbeit in den Social Networks. Ich zeige ihnen meinen Berufsalltag als Anlagenmechanikerin und Model und versuche bewusst, dem Nachwuchs zu zeigen, jede Frau kann auch im Handwerk arbeiten und es kann große Freude machen. Hier stoße ich inzwischen auf sehr positives Feedback. Die jungen Mädels interessieren sich fürs Handwerk. Ich werde oft gefragt: Du kannst vom Modeln leben, fliegst um die Welt, schläfst in schönen Hotels und trotzdem arbeitest du noch auf der Baustelle, warum? Dann erkläre ich immer, dass es mir große Freude bereitet, jeden Tag aufs Neue etwas Schönes mit meinen Händen zu erschaffen. Ich will nicht jede junge Frau überreden ins Handwerk zu kommen, aber ich möchte jeder jungen Frau einmal zeigen, dass es die Möglichkeit gibt. Vorrangig möchte ich meinen Followern zeigen, du kannst alles schaffen, trau dich!

Sandra Hunke ist Anlagenmechanikerin SHK, Model und Unternehmerin. Auf Instagram gibt sie als das BAUMÄDCHEN fast 60.000 Followern Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Auf der #futurework21 diskutiert sie am 9. Juni mit anderen Top-Speakern darüber, wie wir Geschlechterklischees in der Arbeitswelt aufbrechen können.

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