"Den Mythos KI überwinden"

von Mareike Kühl

Michael Ney ist Projektgruppenleiter beim Forschungsinstitut betriebliche Bildung (f-bb) in Sachsen-Anhalt und Projektleiter des regionalen Zukunftszentrums Digitale Arbeit. Im Rahmen seiner Arbeit beschäftigt er sich mit Personal- und Organisationsentwicklung, sowie der Digitalisierung von Arbeit in KMU. Im Interview spricht er über den "Mythos KI", Roboter in der Pflege und Design Thinking im Beratungsprozess.

Du beschäftigst dich mit vielen verschiedenen Projekten im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung, aber die Digitalisierung scheint, gerade wenn es sich um KMU handelt, nicht mehr aus der Beratung von Unternehmen wegzudenken zu sein. Womit beschäftigt ihr euch im Zukunftszentrum genau?

Das lässt sich unter #modernarbeiten, angelehnt an die Dachkampagne des Landes Sachsen-Anhalt #moderndenken, sehr gut zusammenfassen. Uns ist es wichtig, den Fokus nicht auf die Technik, sondern auf den Menschen zu legen und diese mitbestimmungs- & beteiligungsorientiert im digitalen Wandel zu begleiten. Unsere Angebote umfassen Beratung, Vernetzung und die Gestaltung innovativer betrieblicher Organisations- bzw. Personalentwicklungsansätze. Dazu gehören auch Bildungsansätze, vor allem für KMU. Häufig bekommen wir Anfragen von Unternehmen, die digitale Tools bereits eingeführt, aber Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Anwendungen durch die Beschäftigten haben. An dieser Stelle starten wir, indem wir zunächst die Expertise der Beschäftigten und z.B. des Betriebsrats einholen, um dann gemeinsam an einem Gesamtpaket für eine Zukunftsvision des Unternehmens zu arbeiten. Die Beschäftigten kennen die Arbeitsprozesse inklusive der Tücken des Alltags häufig besser als z.B. die IT, daher ist ihr Blick darauf besonders wichtig.

Neben unseren Beratungsangeboten - Präsenz und online - bieten wir auf unserer Website als Einstieg in das Thema, einen „Quickcheck Digitale Arbeit“ mit kurzen Fragen zum Stand der technischen Digitalisierung und zur Offenheit der Beschäftigten an. Der gibt, genau wie Beratungsnavigator und Förderkompass Sachsen-Anhalt,  einen ersten Überblick in das Themenfeld.

Für uns als f-bb stehen betriebliche Weiterbildungsansätze dabei noch einmal in einem besonderen Fokus des Zukunftszentrums. Natürlich treten wir nicht als Weiterbildungsträger an. Vielmehr erproben wir gemeinsam mit Unternehmen, wie der Weg in Richtung „zukunftsfähige Bildung“ konkret aussehen kann. Einen besonderen Stellenwert haben dabei - befördert durch die Corona-Pandemie - hybride Strategien für innovative Lernkonzepte.

Michael E.W. Neÿ ist Changemaker, Sozialökonom und Projektleiter des Zukunftszentrums Digitale Arbeit.

Die Umsetzung unserer Angebote wird durch unser Projektkonsortium mit dem f-bb als Projektträger sowie den Hochschulen Harz und Merseburg und der Handwerkskammer Halle/Saale mit Leben gefüllt.  Zur Förderung der Vernetzung von KMU in Sachsen-Anhalt veranstalten wir regionale Branchendialoge, Barcamps oder Fachtagungen. Hier geht es insbesondere darum, Praxis mit Praxis ins Gespräch zu bringen, aber auch Akteure aus Forschung, Entwicklung und Politik mit an den Tisch zu holen, um innovative Ideen für das Land zu entwickeln und neueste Trends kennenzulernen. Mein persönliches Highlight war, bei einem der letzten Branchendialoge unter dem Titel „Pflege der Zukunft“ eine Apotheke aus Dessau, die Medikamentenlieferungen mit Drohnen in der Praxis erprobt. Solche Beispiele zeigen, was im digitalen Wandel in unserem Bundesland schon alles passiert.

In einer Apotheke hätte ich Drohnen jetzt nicht erwartet.

Es gibt viel mehr - gerade auch in den Regionen - als man häufig wahrnimmt wie das Beispiel der Apotheke oder ein autonom fahrender Kleinbus in der Innenstadt in Magdeburg zeigen. Solche Beispiele sichtbar zu machen, haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Das trifft auch auf die Unterstützungsangebote zu. Häufig bekommen wir die Rückmeldung, dass vielen Unternehmen zwar bewusst ist, dass es Projekte und Programme zur Förderung von Digitalisierungsprozessen gibt, dass aber nicht klar ist, wo die Unterschiede liegen. Dafür haben wir einen Beratungsnavigator, einen Förderkompass und auch eine Seite mit Good Practice-Beispielen auf unserer Website integriert.

Die große Bandbreite ist ein gutes Stichwort: Wo stehen die KMU in Sachsen-Anhalt aktuell bei der Digitalisierung?

Das nehmen wir nicht als homogen wahr. Es gibt KMU, die bei innovativen Trends immer sofort vorne dabei sind. Das sind oft eher mittlere Unternehmen, die eigene Personal- und Entwicklungsabteilungen haben, die wissen, dass technische Innovationen immer gemeinsam mit Personalentwicklung einhergehen. Das ist die eine Kategorie. Die zweite Kategorie, der wahrscheinlich größere Teil an kleinsten und kleinen Unternehmen, sind die die eher indifferent zum Thema Digitalisierung stehen. Diese Unternehmen wissen, dass sie im Bereich Innovation eigentlich aktiv werden müssten, dann aber durch volle Auftragsbücher, fehlende zeitliche oder personelle Ressourcen das Thema erstmal zurückstellen bzw. auch befürchten, dass zu hohe Kosten auf sie zukommen und das eigentlich keinen entsprechenden Nutzen bringt.

Schwierig ist z.B. zu vermitteln, was ein Handwerksbetrieb mit modernem Arbeiten zu tun hat. Wir haben gerade ein Papier zum Thema hybride Arbeitsformen für die AG "Digitalisierung der Arbeitswelt" unseres Landesministeriums geschrieben. Als wir das vorgestellt haben, gab es innerhalb der AG eine starke Diskussion darüber für wen das dann gilt und dass digitale Arbeit doch mehr ist als nur Homeoffice. Da setzen wir an, insbesondere auch mit unserem Projektpartner, der Handwerkskammer Halle/Saale. Wir wollen deutlich machen, dass neue Arbeitsformen eben nicht beim Homeoffice enden. Der Handwerkermeister, der abends nach Hause geht und seine Abrechnung macht, macht übrigens auch Home Office oder mobiles Arbeiten und das gilt genauso für die Teams, die auf dem Bau unterwegs sind. Da ist es ein sehr verkürztes Denken, wenn man sagt, dass von neuen Arbeitsformen viele Berufe ausgeschlossen sind. Unsere Kernaufgabe ist an der Stelle, Branchen und KMU für neue Denkansätze aufzuschließen und anzuregen, überhaupt mal darüber nachzudenken, was denn möglich sein könnte.  

Die Unternehmen erhoffen sich häufig von uns, dass wir fertige Lösungen installieren, Fördermittel mitbringen, die Effizienz erhöhen und dafür sorgen, dass das Unternehmen am Ende dieses Prozesses zehn Kunden mehr hat.  Stattdessen starten wir, indem wir sagen: Geht mal einen Schritt zurück und schaut gemeinsam mit euren Beschäftigten, wo hakt es in euren Arbeitsprozessen und was davon könnte man durch digitale Lösungen verbessern oder vereinfachen? Was wir mitbringen, sind Methoden, die dazu anregen sollen, gewohnte Denkmuster zu verlassen sowie Netzwerkpartner, die Antworten auf die technischen Fragestellungen haben und Good Practice-Beispiele, die aufzeigen, wie andere KMU vergleichbare Herausforderungen gemeistert haben. So entsteht ein Angebot aus einer Hand, welches den Unternehmen einen niedrigschwelligen Zugang zum digitalen Wandel ermöglicht.

Welche Bedeutung hat Künstliche Intelligenz für KMU? Arbeiten Unternehmen, gerade auch in ländlicheren Regionen, schon mit KI?

Wir machen gern folgende Gleichung auf: Je komplexer die technologische Anforderung ist, desto mehr müssen wir sie auf Erfahrbarkeit herunterbrechen. Digitalisierung können wir noch gut erklären, Künstliche Intelligenz müssen wir, weil sie abstrakt wirkt, für die Praxis eines KMU erfahrbar oder zumindest nachvollziehbar machen.

Ich kann sagen, dass KI selbstlernende Prozesse steuern kann oder aber aufzeigen, dass es Bäckereien gibt, in denen eine KI den Bedarf an Brötchen und Teig für den nächsten Tag auf Grundlage des bisherigen Kaufverhaltens der Kund*innen berechnet. Damit lassen sich Ressourcen effizienter einsetzen, es wird weniger Überschuss produziert bzw. es gehen weniger Kund*innen enttäuscht nach Hause, weil ihr Lieblingsbrot nicht mehr im Regal lag. Den Familienbetrieb entlastet das und es verbessert ggf. auch noch die wirtschaftliche Situation. Damit so eine KI wirklich ins Unternehmen passt, muss sowohl die praktische Erfahrung der Beschäftigten in der Backstube als auch im Verkauf mit einfließen. Das ist ein Beispiel, das nachvollziehbar ist, ein reales Problem der Branche aufgreift und damit anderen Bäckereien als Good Practice dienen kann. Damit lassen sich vielleicht auch die KMU gewinnen, die eigentlich eine Aversion gegen digitale Innovationen haben. Trotzdem bleiben es dicke Bretter, die da zu bohren sind.

Welche Bedeutung haben in diesem Kontext Good Practice Beispiele?

Erst einmal haben wir uns für den  Begriff "Good Practice" und nicht für "Best Practice" entschieden, weil es immer um betriebsindividuelle Lösungen geht. Best Practice meint Beispiele, die man 1:1 übernehmen kann. Das funktioniert aber in diesem komplexen Feld von Digitalisierung und digitalem Wandel eher selten. Best Practice sind häufig herausragende Leuchttürme, die damit eher abschrecken, weil sie dazu verführen, zu sagen: Tolles Beispiel - bei uns kann das aber nicht funktionieren.

Wir müssen in der Lage sein, den Nutzen von KI gerade kleineren Handwerksbetrieben zu vermitteln. Wir müssen auch den Mythos KI überwinden und deutlich machen, dass es eine große Bandbreite von schwacher bis zu starker KI gibt, dass uns KI z.B. im Handy oder auch im Auto schon längst begleitet. Ich habe mich neulich mit einem Filmwissenschaftler unterhalten, der beschrieben hat, dass das gesellschaftliche Bild von KI häufig von den Bildern aus „Hollywoodfilmen“ geprägt ist. Wenn es gut läuft, sind das Menschen, die ihr KI-Knowhow aus Star Trek haben, wo es ja durchaus nette, hilfreiche Androiden und spannende "Holodecks" gibt. Aber letztlich hat das mit der Alltags- und Praxisrealität von KI in KMU und dem, was im Moment wirklich machbar ist, wenig zu tun.

Wo liegt in diesem Kontext eure Aufgabe?

Es ist wichtig, die bestehenden Vorbehalte abzubauen, Verständnis für die Einsatzmöglichkeiten und Erprobungsräume zu schaffen. Es gibt z.B. die Angst von Pflegekräften, dass Pflegeroboter ihnen die Arbeit wegnehmen. Also ermöglichen wir die Begegnung zwischen den Pflegekräften und dem Pflegeroboter. Die Pflegekräfte erfahren, wo die Grenzen dieser Geräte liegen und wie sie die tägliche Arbeit entlasten können, ohne den Joberhalt zu gefährden. Das Pflegeunternehmen sensibilisieren wir gleichzeitig dafür, entsprechende Innovationsprozesse im Betrieb beteiligungsorientiert transparent zu gestalten und die Expertise der Pflegekräfte unbedingt mit einzubeziehen. Aus unserer Sicht ist das der Weg, die Akzeptanz zu erhöhen und die Umsetzung zu erleichtern. In einem anderen Beispiel aus der Pflegebranche geht es um Einlegesohlen, die man zur fortlaufenden Messung von Vitaldaten nutzen kann. Von den Pflegekräften haben wir bei der Vorstellung erfahren, dass sie aber ihre Hand am Puls der Senior*innen brauchen, weil die Berührung ein wesentlicher Teil der Beziehungsarbeit ist. Wir sind dann mit den Pflegekräften ins Gespräch gegangen und haben gemeinsam überlegt, wie die Sohlen genutzt werden können um die gewonnene Zeit anderweitig für den persönlichen Kontakt einzusetzen. Denn letztlich ist beides wichtig, die Beziehungsarbeit und die Gewinnung ausführlicherer Daten für die Anamnese.

Auch hier gibt es quer durch die Branchen und Berufe keine einheitliche Situation der KI-Akzeptanz. Entsprechend flexibel und betriebsindividuell müssen wir uns aufstellen, um die jeweiligen Zielgruppen mit unseren Angeboten zu erreichen. Wenn es uns gelingt KMU, Beschäftigte und betriebliche Interessensvertretungen für den digitalen Wandel und KI aufzuschließen, den Nutzen aufzuzeigen und Arbeitsprozesse für Beschäftigte zu erleichtern oder zu verbessern, dann haben wir als Zukunftszentrum unsere Herausforderung gemeistert.

Michael E.W. Neÿ ist Projektgruppenleiter beim Forschungsinstitut betriebliche Bildung in Sachsen-Anhalt und Projektleiter des regionalen Zukunftszentrums Digitale Arbeit. Im Rahmen seiner Arbeit beschäftigt er sich mit Personal- und Organisationsentwicklung, sowie der Digitalisierung von Arbeit in KMU.

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