Der sprechende Bot fürs Grobe

von Dr. Michaela Regneri

Wie uns künstliche Intelligenz helfen kann, etwas mehr Menschlichkeit in die Kommunikation zurückzubringen

Michaela Regneri (OTTO) begeistert sich für künstliche Intelligenz, insbesondere im Bereich Cognitive Computing mit Sprache, Bildern und allen anderen Arten von Mensch-Maschine-Interaktion. Ihr Gastbeitrag auf dem futurework-Blog handelt von Chatbots und von deren Fähigkeit, mehr Raum für menschlichere Kommunikation schaffen zu können.

„Die müssten nur mal richtig miteinander reden!“ Der Satz ist fast ein Klassiker, sowohl bei privaten Unstimmigkeiten als auch bei alltäglichen Reibereien in der Arbeitswelt. Was „richtig“ bedeutet hängt von der Situation und den Beteiligten ab – aber grundsätzlich bleibt Kommunikation der entscheidende Schlüssel zur Problemlösung.

Was passiert also in einer Arbeitswelt, in der Kommunikation immer öfter durch Dialoge mit einer künstlichen Intelligenz ersetzt wird? Hören wir auf, Probleme zu lösen? Oder erzeugen wir mehr Probleme, weil unser Austausch mit Maschinen automatisch schlechter läuft als der zwischen Menschen? Meiner Meinung und Erfahrung nach passiert das Gegenteil. Das hat viel mit der „richtigen“ Kommunikation zu tun, oder viel mehr mit Kommunikation, die immer irgendwie „falsch“ ist.

Richtig und falsch sind hier natürlich die falschen Begriffe, also schaue ich auf das Ergebnis: Manche Gespräche bringen uns einander näher, lösen Konflikte, lassen uns gut zusammenarbeiten oder stärken die zwischenmenschliche Gemeinschaft. Das Gegenteil passiert leider ebenso oft. Unglücklich wirkende Worte erzeugen Missverständnisse, Konflikte und verhindern angenehmes Zusammensein und letzten Endes auch produktive Zusammenarbeit. Dialoge, bei denen die Augenhöhe verloren geht, haben zum Beispiel immer die Konsequenz, Menschen eher zu trennen, statt zu vereinen. Solche Dialoge können notwendig sein, beispielsweise im Dialog mit Vorgesetzten, Eltern oder der Polizei. Aber manchmal sind sie auch vermeidbar und lassen die Augenhöhe unnötigerweise verloren gehen.

Michaela Regneri ist Senior Expert AI & Cognitive Computing beim Hamburger Onlinehändler OTTO. ©Matthias Haslauer

Ein Beispiel, das wirklich im Unternehmen beobachtet werden konnte, und wo Automatisierung neue Perspektiven eröffnete: Eine Mitarbeiterin hatte die Aufgabe, monatlich Berichte abzufragen, die schon seit Jahren zum gleichen Zeitpunkt und im gleichen Format geliefert werden sollten. Der Prozess lief über E-Mail und zog neben der eigentlichen Erinnerung auch viel Folgekommunikation nach sich: Mehr Mails waren nötig um alle verspäteten Kolleg*innen an die Deadline zu erinnern und Formatfehler zu beanstanden.

Solche Erinnerungen und Beanstandungen – egal, wie nett sie formuliert sind – beschädigen die Augenhöhe. Tatsächlich wurden die Formatfehler auch manchmal lieber selbst bereinigt, anstatt die Verantwortlichen zu benachrichtigen, eben weil solche Dialoge sozial mühsam sind. Gleichzeitig ist die Kommunikationsaufgabe wunderbar automatisierbar, weil sie aus den immer gleichen Erinnerungen, Bitten und Korrekturfragen besteht. Somit konnte man sie auch mit einer automatischen Software automatisieren, die mittlerweile die Erinnerungen abschickt und Formatfehler gleich selbst beanstandet.

Das Ergebnis: Es gibt eindeutig mehr Platz für viel menschlichere und auch effektivere Kommunikation. Einerseits bleibt schlicht mehr Zeit, weil niemand mehr Mails mit Deadline-Erinnerungen oder Formatbeanstandungen senden muss. Die Kolleg*innen, die vorher diese Kommunikation per Mail bestritten, können jetzt viel mehr Zeit damit verbringen, andere Themen inhaltlich zu besprechen.

Noch mehr Tragweite hat aber ein anderer Effekt: Die neue Kommunikation zwischen den beteiligten Menschen kann jetzt völlig unbelastet von irgendwelchen Ermahnungen oder Beanstandungen stattfinden. Die Akzeptanz für die Lösung ist dadurch auf beiden Seiten sehr hoch: Einem unflexiblen „dummen“ Mail-Bot sieht jede*r schnell nach, dass er nur ein bestimmtes Format versteht. Und die Mitarbeiter*innen, deren Teilaufgabe der Bot übernommen hat, sind dankbar dafür, mehr Zeit mit angenehmer und wichtiger zwischenmenschlicher Kommunikation verbringen zu können.

Natürlich kann nicht jede Art von Kommunikation so automatisiert werden. Aber wenn ein Austausch künstliche Schieflagen erzeugt und gleichzeitig einfach genug ist, dass er automatisch stattfinden kann, bringen automatisierte Mails oder Chatbots wichtigen Raum für mehr echte Gespräche. Und die können wir nutzen – um mal wieder richtig miteinander zu reden.

Michaela Regneri begeistert sich für künstliche Intelligenz, insbesondere im Bereich Cognitive Computing mit Sprache, Bildern und allen anderen Arten von Mensch-Maschine-Interaktion. Nach ihrer Promotion in Computerlinguistik war sie zunächst beim SPIEGEL verantwortlich für Suche und Data Mining im Verlagsbereich. Bei OTTO startete sie 2016 zunächst als Produktmanagerin für Business Intelligence Analytics, in der sie Infrastruktur & Anwendungen für Data Science fachlich betreut hat. In Ihrer aktuellen Rolle gestaltet und hinterfragt sie unterschiedlichste KI-Anwendungen für E-Commerce, die für den Wachstumskurs und die Weiterentwicklung des Hamburger Onlinehändlers zur Plattform von strategischer Relevanz sind. Von besonderem Interesse sind für sie Themen rund um Corporate Digital Responsibility & Organisationsentwicklung, z.B. KI & Zukunft der Arbeit, KI & Mitarbeiterentwicklung, und nachhaltiges Design von KI-Systemen.

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