Die „Keine Regeln“-Regel: Mehr Vertrauen = mehr Innovation!

von Dr. Lisa Allegra Markert

Vertrauen statt starre Richtlinien? Dr. Lisa Allegra Markert diskutiert die Vorteile einer ausgeprägten Vertrauenskultur im Unternehmen. Neben gesteigerter Motivation der Mitarbeitenden verspricht sie vor allem auch Effizienz, Schnelligkeit und Innovation.

Dr. Lisa Allegra Markert, Referentin Arbeitsrecht & Arbeit 4.0 bei Bitkom

Ob „House of Cards“, „Bridgerton” oder „The Queen's Gambit“– die Netflix-Serien haben Kultstatus. Was viele nicht wissen: Was ursprünglich als DVD-Versandhändler begann, ist heute einer der größten Streaming-Anbieter. Was Netflix dazu verhalf? Ihre beeindruckende Innovationskultur – vermittelt durch Vertrauen und Eigenverantwortung. Letztere spielen beim US-amerikanischen Medienunternehmen Netflix eine herausragende Rolle. Viele Unternehmen und ihre Unternehmenskulturen befinden sich seit einigen Jahren allgemein im Wandel, insbesondere Digitalunternehmen gehören hierbei zu den Vorreitern– ein Beispiel dafür ist Netflix.

Das Buch „No rules rules“ (auf Deutsch: Keine Regeln, 2020) beschreibt die Innovations- und Unternehmenskultur bei Netflix. Was dabei auffällt: Es gibt wenige, bestmöglich keine Regeln oder Richtlinien und stattdessen viel Vertrauen.

So sagt CEO und Gründer Reed Hastings im Zusammenhang mit Reise- und Spesenrichtlinien (Keine Regeln, S. 95 f.): „Bei Netflix sollte niemand mit solchen Diskussionen Zeit verschwenden. Mehr noch, ich wollte nicht, dass unsere talentierten Mitarbeiter den Eindruck gewinnen, durch dumme Regeln daran gehindert zu werden, ihr Gehirn zu benutzen und das zu tun, was für das Unternehmen am besten war. Auf diese Art tötet man nur die kreativen Schwingungen, die einen Arbeitsplatz innovativ machen.“ Diese Aussage deckt sich auch mit Studien: 51 Prozent der Arbeitnehmer haben danach das Gefühl, dass ihre Reiserichtlinien unklar seien. 24 Prozent sind der Meinung, es gebe zu viele Richtlinien und Einschränkungen wie etwa unrealistische Kostengrenzen. Richtlinie sorgen nicht nur für Frustration bei den Beschäftigten. Sie ergeben auch nur Sinn, wenn ihre Einhaltung überprüft wird, wofür wiederum Personen und/oder Systeme nötig sind, die auch Kosten produzieren.

Bei Netflix gilt statt Richtlinien inzwischen der schlichte Grundsatz: „Handle im besten Interesse von Netflix.“ (Keine Regeln, S. 99). Dieser mag für neue Mitarbeiter zunächst für Irritation und Fragezeichen sorgen, schafft aber nach einer gewissen Orientierung viel Raum für Vertrauen, Eigenverantwortung und Freiheit – und damit (Mut zur) Innovation. Netflix zieht seinen Grundsatz „Keine Regeln“ konsequent durch – so wurden unter anderem auch Urlaubsregelungen, Genehmigungsprozesse für Entscheidungen und Gehaltsstufen abgeschafft (Keine Regeln, S. 331). Netflix zahlt auch keine variablen Boni, da eine Zukunftsprognose hinsichtlich Innovationen nicht möglich sei und Zielvereinbarungen damit nicht darauf einzahlen würden, wenn man echte Innovation anstrebe. Für viele Unternehmen mag dies undenkbar erscheinen.

Sicherlich ist im Zusammenhang mit der Vertrauenskultur bei Netflix zu berücksichtigen, dass sich das deutsche und US-amerikanische Arbeitsrecht unterscheiden und ungebetene Verhaltensweisen bei Netflix zu einer Kündigung führen können, wie Hastings selbst schreibt. Eine Kündigung in Deutschland ist dagegen nicht ohne weiteres möglich, vielmehr muss bei der verhaltensbedingten Kündigung eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegen: Eine solche kann in dem Verstoß gegen die Reiserichtlinie begründet sein (u. a. BAG, Urteil vom 06.09.2007, 2 AZR 264/06). Insofern haben Reiserichtlinien in Deutschland durchaus ihre Berechtigung. Auch ist Netflix im Übrigen unter anderem mit seinen überdurchschnittlich qualifizierten Talenten nicht mit einem durchschnittlichen Unternehmen in Deutschland vergleichbar. Gleichwohl sollte man sich bewusst(er) machen, was jede weitere interne Richtlinie und Genehmigungsprozesse für die Mitarbeiter, ihre Innovationsfähigkeit und Kreativität, aber auch Zufriedenheit bedeutet. Gerade in Zeiten der beschleunigten Digitalisierung und steigender Komplexität wird Vertrauen immer wichtiger für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Vertrauen und Verantwortung schaffen nicht zuletzt Schnelligkeit, Effizienz, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, aber auch Zufriedenheit und Motivation. Vertrauen kann viel Positives bewirken. „No rules rules“ kann insofern zum Nachdenken und im besten Fall auch zum Umdenken anregen.

Dr. Lisa Allegra Markert ist promovierte Juristin und Referentin für Arbeitsreicht & Arbeit 4.0 beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom).

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