Keine Rechte für Crowdworker?

von Julian Caligiuri

Ein Crowdworker klagt erstmals medienwirksam in Deutschland auf ein Beschäftigungsverhältnis. Sein Vorwurf: Eigentlich sei er nicht selbstständig, sondern Arbeitnehmer einer Plattform gewesen. Er verliert damit in zwei Instanzen. Worum geht es?

In jedem Supermarkt steckt viel Psychologie. Bei der Warenpräsentation wird nichts dem Zufall überlassen. Unternehmen lassen sich eine gute Platzierung ihrer Produkte im Sichtfeld der Kundschaft einiges kosten. Hieraus entsteht ein Beispiel für sogenanntes Microtasking in der Plattformökonomie: Eine Plattform schreibt Aufträge an eine große Gruppe von Personen aus, die sich auf ihr registriert hat (die „Crowd“). Ein Auftrag kann dabei sein, die Anzahl der Bananen einer bestimmten Marke in einer Obstauslage zu zählen und ein Foto ihrer Platzierung im Geschäft zu machen. Nicht der aufregendste und anspruchsvollste Job, für einige Menschen aber die Möglichkeit sich flexibel ein paar Euro hinzuzuverdienen. Ein Smartphone und die entsprechende App reichen dafür aus.

Klassisches Microtasking: Die Überprüfung von Warenpräsentationen in Geschäften.

Manche Personen haben sich auf derartige Mikroaufgaben spezialisiert und verdienen nicht nur Kleinstbeträge damit. In Deutschland ist die Zahl dieser sogenannten Crowdworker extrem gering. Einer davon ist der Kläger vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) München, der am Mittwoch auch in zweiter Instanz erfolglos blieb. Der mit einem Gewerbeschein ausgestattete Crowdworker verdiente mit einem Arbeitsaufwand von durchschnittlich 20 Stunden pro Woche rund 1.800 Euro im Monat. Für einige Zeit erhielt er seine Aufträge über die Vermittlungsplattform Roamler. Er moniert nun, dass er in dieser Zeit eigentlich gar nicht selbstständig war, sondern Arbeitnehmer der Plattform, weshalb ihm nun ein unbefristeter Arbeitsvertrag zustünde.

Das lehnte zunächst das Arbeitsgericht München in aller Deutlichkeit ab. Es folgte ein Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung Bund. Auch hier wurde kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis erkannt. Das LAG München bestätigte nun das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts und stufte den Kläger als Selbstständigen ein.

Dafür gibt es sehr gute Gründe: Der Selbstständige unterliegt im Gegensatz zum Arbeitnehmer keinem Weisungsrecht und kann flexibel darüber entscheiden, welche Aufträge er annimmt und welche nicht. Das ist auch die grundsätzliche Motivation der meisten Selbstständigen, inklusive Crowdworker: frei darüber entscheiden, ob überhaupt, und wenn ja, welche Arbeit ich wann mache. Das galt auch für den Kläger. Menschen nutzen Crowdworking-Plattformen ja gerade deshalb, weil sie dort ohne feste Arbeitszeiten und mit voller Flexibilität die Möglichkeit eines unverbindlichen Zuverdienstes haben. Das Geschäftsmodell ist daher bewusst so ausgelegt, dass Crowdworker – anders als Arbeitnehmer – nicht zur Ausführung einer Tätigkeit verpflichtet werden oder gar für eine Leistungsverweigerung sanktioniert werden können. Das ist der Inbegriff selbstständiger Arbeit.

Eine Beschreibung der angebotenen Aufgabe mit der Angabe eines Zeitfensters bedingt noch lange keine weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit. Besonders dann nicht, wenn der Auftrag selbst nach Annahme noch abgebrochen werden kann. Eine „klare Aufgabendefinition und angemessene Zeitplanung“ gehören sogar zu den freiwilligen Grundsätzen des Code of Conduct, den deutsche Crowdsourcing-Plattformen zusammen mit der IG Metall entwickelt haben. Woher soll der Crowdworker auch sonst wissen, was genau der Auftrag ist und ob er ihn durchführen möchte?

Das Urteil bedeutet allerdings nicht, dass es per se keine Angestellten auf Crowdworking-Plattformen geben kann. Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie sind, genauso wie ihre Nutzerinnen, maximal unterschiedlich. Manche Plattformen – wie beispielsweise bei der Vermittlung von Lieferdiensten – stellen bewusst Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein, denen sie feste Schichten und Arbeitsaufträge zuweisen können. Sie haben dann auch alle dazugehörigen Arbeitnehmerrechte und -pflichten. Sollte eine Plattform „Scheinselbstständige“ beschäftigen, macht sie sich strafbar – unabhängig davon, was in den AGB vereinbart wurde.

Wenn sich Menschen bei boomendem Arbeitsmarkt und jährlich steigenden Rekordzahlen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Deutschland dazu entschließen, ihren Lebensunterhalt mithilfe von Microtasks als Selbstständige zu bestreiten, ist das ihre freie Wahl. Das mag auch mit Blick auf die verdienten Summen des Klägers lukrativ sein – wenngleich die Zahl der Soloselbständigen in Deutschland seit Jahren sinkt. Der Fokus sollte dann nicht darauf liegen, ein Arbeitsverhältnis zu suchen, wo keines zu finden ist. Die grundlegende Frage muss hier eher lauten, mit welchen Chancen und Risiken Selbstständigkeit verbunden ist und wer hier überhaupt vor was geschützt werden muss.

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