Legal Tech – der Algorithmus als Anwalt?

von Benjamin Stumpp

Die Digitalisierung ist aus unserem Wirtschafts- und Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken und dringt auch immer weiter in Bereiche vor, die bisher mit digitalen Technologien und Geschäftsmodellen eher selten in Verbindung gebracht wurden.

So drängen mittlerweile immer mehr Start-ups in Deutschland auf den Markt, die sich auf Online-Rechtsdienstleistungen spezialisiert haben. Dabei bereiten sie teilweise große Datenmengen auf und werten diese mit Hilfe von Algorithmen schnell aus. Das größte Portal für die Geltendmachung von Fluggastrechten hat seit seiner Gründung 2010 Forderungen in Höhe von über 200 Mio. Euro von Fluggesellschaften eingetrieben. Legal Tech wird momentan überwiegend in Bereichen eingesetzt, in denen sich Abläufe gut standardisieren lassen. Dadurch entwickeln sich weitere neue Geschäftsideen. Auf kurz oder lang wird sich daher auch der Markt für Rechtsberatung verändern müssen. Dies sollte von der Anwaltschaft ebenfalls als Chance und nicht nur als Gefahr gesehen werden.

Bislang sehen viele Rechtsanwälte Legal Tech Start-ups eher kritisch. Dies liegt u.a. daran, dass nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ausschließlich Rechtsanwälte rechtlich beraten dürfen. Legal Tech Start-ups agieren derzeit auf Basis einer ungeklärten Rechtslage. Sie nutzen teilweise eine Lücke im Gesetz, indem sie sich die Forderung der Kunden abtreten lassen oder ihnen diese abkaufen. Dadurch treten Sie wie Inkassodienstleister auf, die in Deutschland nach dem RDG Rechtsdienstleistungen erbringen dürfen. Diese „Flucht in die Inkassolizenz“ wird jedoch dem tatsächlichen Geschäftsmodell vieler Legal Tech Starts-ups nicht gerecht, denn dieses geht in der Regel über klassische Inkassodienstleistungen hinaus. Manche Legal Tech Starts-ups arbeiten mit einem Vergütungsmodell, welches auf einem Erfolgshonorar beruht. Ein solches Modell ist jedoch nach dem anwaltlichen Berufsrecht verboten.

Die FDP-Fraktion im Bundestag hat im April 2019 (BT-Drucksache 19/9527) deshalb einen Gesetzesentwurf vorgelegt, wonach „automatisierte Rechtsdienstleistungen“ als weitere Ausnahme in das RDG aufgenommen werden sollten. Die Anbieter von „automatisierten Rechtsdienstleistungen“ sollen nach diesem Gesetzesentwurf zur Rechtsdienstleistung befugt sein, wenn sie die entsprechende Sachkunde nachweisen können, Informationspflichten erfüllen und sich registrieren lassen. Dies würden vielen Legal Tech Start-ups helfen, die dargestellte rechtliche Grauzone zu verlassen. Das Landgericht (LG) Berlin hat dagegen entschieden, dass der Betrieb einer Legal Tech-Anwendung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund der sog. Mietpreisbremse eine unzulässige Rechtsdienstleistung darstellt (LG Berlin vom 26. Juli 2018 – 67 S 157/18). Im Oktober 2019 wird der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe voraussichtlich über die Revision entscheiden, ob das Legal Tech Start-up eine unerlaubte Rechtsdienstleistung erbringt oder nicht (Aktenzeichen des BGH: VIII ZR 285/18). Dies ist jedoch kritisch zu sehen, denn der BGH ist kein Ersatzgesetzgeber. Die Politik sollte hier den Anspruch haben, selbst zu gestalten, anstatt sich vom BGH die Politik diktieren zu lassen.

Die Justizministerkonferenz hat sich im Juni 2019 zur Regulierung von Legal Tech Start-ups geäußert. Die Justizminister der Länder sehen zwar Vorteile für Verbraucher durch Legal Tech Start-ups wegen des niedrigschwelligen Zugangs zur Rechtsdurchsetzung. Allerdings müssen aus Sicht der Justizminister die Verbraucher insbesondere auch vor unqualifizierter Rechtsberatung geschützt werden. Sie sprechen sich daher dafür aus, dass nach dem RDG nicht erlaubnisfähige Rechtsdienstleistungen durch Legal Tech-Angebote allein Rechtsanwälten vorbehalten bleiben und entsprechende Anpassungen im anwaltlichen Berufs- und Gebührenrecht geprüft werden sollten.

Legal Tech Start-ups, die auch Rechtsdienstleistungen anbieten, sollen demzufolge zukünftig nur noch von Anwälten betrieben werden dürfen. Dadurch ergeben sich jedoch Folgeprobleme, denn Legal Tech Start-ups arbeiten oft mit Vorfinanzierungen von Prozessen oder Erfolgshonoraren. Beides ist Rechtsanwälten bislang jedoch untersagt. Unglücklich ist daher, dass die Justizminister der Länder die Chance versäumt haben, eine Position zu den Streitigkeiten um die Inkassoproblematik von Legal Tech Start-Ups zu beziehen. Der Blick ist deshalb nach Karlsruhe zu richten und im Oktober wissen wir wahrscheinlich mehr.

Benjamin Stumpp ist Assessor und Wirtschaftsmediator (MuCDR) sowie Referent der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht der BDA.

 

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