Leiser bitte?!

von Dr. Alexander Böhne

„Leiser bitte!“ forderte gerade die „Zeit“ und vermutet im Zusammenhang mit agiler Arbeit Präsentationszwang, Teamwork in Dauerschleife und Rampenlicht für alle – ob gewollt oder nicht. Leiser sei aber besser für die Introvertierten, die Denker und Tüftler, deren gute – manchmal bessere – Ideen im agilen Geklapper der Extrovertierten unterzugehen drohten. Ist also Agilität mitunter kontraproduktiv für Kreativität, die (auch) Ruhe, gar Isolation brauche, um wirklich Neues hervorzubringen?

Testimonial dieser kritischen Überlegung ist Steve Wozniak, der Wegbereiter des PCs und damit der modernen Arbeitswelt, wie wir sie heute kennen. The „Woz“ wäre wohl, so schlussfolgern die Autoren, in einer auf Agilität getrimmten Umgebung untergegangen – und damit seine bahnbrechende Erfindung. Was also ist zu tun? Ist agile Arbeit eine Mode, die wieder verschwindet, wenn Ernüchterung eintritt? Oder gelingt es, agil erfolgreich zu sein, und dabei Introvertierte wie Extrovertierte gleichermaßen mitzunehmen?

Überzeugter Teamplayer oder einsames Genie - sind agile Arbeitsmethoden wirklich etwas für jeden?

In jedem Fall lohnt vor der Einführung ein genauer Blick, für wen agile Arbeit überhaupt in Frage kommt. Denn nicht alle Beschäftigten wünschen sich (mehr) Autonomie bei ihrer Arbeit. Studien zeigen, dass nahezu die Hälfte der Beschäftigten durchaus damit zufrieden ist, wenn sie (lediglich) Anweisungen von Vorgesetzen ausführt. Die Führungskraft als moderierender Coach ist in diesem Zusammenhang eher deplatziert. Erste empirische Untersuchungen liefern aber inzwischen wertvolle Hinweise über die Auswirkungen von Agilität.

Beispielsweise arbeitet im Bankgewerbe bereits fast ein Viertel der Beschäftigten häufig oder ausschließlich nach agilen Arbeitsmethoden, gut ein Drittel mindestens gelegentlich. Dabei scheint die Gestaltung dort bislang gut zu gelingen. Die aktuelle Beschäftigtenbefragung des AGV Banken zeigt, dass sich agiles Arbeiten grundsätzlich offenbar eher positiv auswirkt. So sind Beschäftigte, die immer oder häufig agil arbeiten, signifikant zufriedener als die Beschäftigten, die selten oder nie agil arbeiten. Auch der Zusammenhang zwischen häufiger agiler Arbeit und guter psychischer Verfassung ist positiv. So schätzen 64 Prozent der immer oder häufig agil arbeitenden Beschäftigten ihre psychische Verfassung als ausgezeichnet oder sehr gut ein, wohingegen dies nur 49 Prozent der Beschäftigten tun, die allenfalls selten mit agilen Arbeitsmethoden in Berührung kommen. Agil Arbeitende können darüber hinaus überdurchschnittlich gut mit neuen Herausforderungen sowie Termin- und Leistungsdruck umgehen.

Dies hat unter anderem damit zu tun, dass agil arbeitende Beschäftigte im privaten Bankgewerbe erheblich mehr Entscheidungsspielräume haben im Vergleich zu den übrigen Kolleginnen und Kollegen. Erwiesenermaßen eine der wichtigsten Determinanten psychischer Gesundheit. Zudem empfinden sie ihre Arbeitsbelastung als deutlich unterdurchschnittlich: Nur ein Fünftel bewertet die Arbeitsbelastung als noch annehmbar oder schlecht, während es über alle Beschäftigten hinweg ein Drittel ist.

Es spricht also vieles dafür, dass agile Arbeitsformen grundsätzlich eher einen positiven Einfluss auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit haben. Es fehlen derzeit aber noch umfassende Kenntnisse darüber, wie genau welche Ausprägung agiler Arbeit unter welchen Umständen auf Menschen wirkt. Etwa darüber, ob die Stillen tatsächlich verschreckt sind und ihr Heil lieber dort suchen, wo „oldschool“ gearbeitet wird.

Um die konkreten Auswirkungen agiler Arbeitsmethoden noch besser beurteilen zu können, beteiligt sich der AGV Banken daher unter dem Dach der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) an einer breit angelegten Studie zu agiler Arbeit. Im Rahmen der Sozialpartner-Initiative „Mitdenken 4.0“ sind die Forschungsarbeiten im Herbst 2019 gestartet und sollen bis Ende 2021 abgeschlossen sein. Bis dahin sollen Handlungshilfen für eine gesundheitsgerechte Gestaltung agiler Arbeit entwickelt werden – bis hin zu den Elementen für die Gefährdungsbeurteilung. Dann werden wir auch mehr darüber wissen, ob und wo das „Leiser bitte“ – Schild der „Zeit“ im Unternehmen anzubringen ist.

Weitere Infos zur Beschäftigtenbefragung des AGV Banken finden Sie hier.

Dr. Alexander Böhne ist Leiter Sozialpolitik und Volkswirtschaft des Arbeitgeberverbands des privaten Bankgewerbes (AGV Banken)

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