REGULIERT DIE PLATTFORMEn!1!!

von Julian Caligiuri

Plattformarbeit und Crowdwork nehmen in der Debatte um die Zukunft der Arbeit einen unverhältnismäßig großen Platz ein. Worüber reden wir überhaupt?

„Ein wachsendes Heer an Solo- und Scheinselbständigen“. Am Tag der Arbeit war es mal wieder so weit: Bundesjustizministerin Barley spricht über die Plattformökonomie in Deutschland. Über Crowd- und Gigwork, was mittlerweile zum Inbegriff der Schattenseite des digitalen Wandels der Arbeitswelt geworden zu sein scheint.

Das düstere Narrativ geht einfach: Gutbezahlte Jobs werden von Unternehmen in Kleinstaufgaben zerstückelt. Anschließend vermittelt eine Plattform sie an eine Schar von scheinselbständigen Internettagelöhnern, die sich getrieben vom Algorithmus von einem schlechtbezahlten Auftrag zum nächsten hangeln. Stupide kategorisieren sie Bilder, transkribieren Audiodateien oder verfassen Produktbeschreibungen. Crowdwork wird zur neuen Beschäftigungsform. Folge: Ein aufkeimendes digitales Prekariat ohne jeglichen Arbeitnehmer- und Sozialversicherungsschutz. Auf jeden Fall also ein sozialpolitisches Aufregerthema, mit dem man sich frühzeitig profilieren sollte.

Zwei Tage vor Barleys Rede veröffentlicht Bundesarbeitsminister Heil einen Zwischenbericht zum „Arbeiten in der Plattformökonomie“. Darin heißt es, dass sich die Plattformwirtschaft in Deutschland bislang „offenbar nur relativ langsam“ entwickelt, und es „Erwerbstätigen um einen flexibel organisierten und auch nicht unbedingt auf Dauer angelegten Nebenerwerb“ geht. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Solo-Selbstständigen in Deutschland seit Jahren. Wo ist jetzt das Problem und worüber reden wir hier eigentlich?

Das ist gar nicht so leicht zu sagen, denn unter Plattformarbeit werden maximal unterschiedliche Dinge verstanden. Crowdwork, Gigwork, Cloudwork, Clickwork kann – muss aber nicht – das gleiche bedeuten. Trotz sinnvoller Typologien aus der Wissenschaft gibt es keine einheitlichen Definitionen. Vereinfacht gesagt verstehen wir aber unter Plattformarbeit (nehmen wir das mal als Überbegriff) die Vermittlung von Arbeitsaufträgen über eine Internetplattform an eine Gruppe von Nutzern dieser Plattform. Die Aufträge können alles Denkbare sein: Adressrecherchen, Bug Fixing, Dog Walking, Lieferdienste, Übersetzungen, Haushaltsaufgaben, Designentwürfe, IT-Aufträge, Softwareentwicklung, Handwerkertätigkeiten, Schulnachhilfe und so weiter.

Random Stock-Foto, könnte aber auch Plattformarbeit sein: Cat Sitting.

Die genaue Zahl der „Plattformarbeiter“ in Deutschland (ab wann ist man das eigentlich?) ist unklar. Belastbare Zahlen gibt es kaum. Das liegt in der Natur der Sache, denn Plattformarbeit ist per se keine Berufskategorie, die von offiziellen Stellen erhoben werden könnte. Die Plattformnutzer sind, wie die Plattformen und Tätigkeiten selbst, höchst verschieden. Gängige Klischees sind nach neuesten Erkenntnissen klar zu überdenken. Der überwältigende Anteil – das zeigen sämtliche Studien – sind Personen aus allen Gruppen der Gesellschaft, die sich flexibel etwas Geld hinzuverdienen. Mal als Freizeitaktivität, mal in Verbindung mit anderen Erwerbstätigkeiten. In der Tendenz sind sie eher jung und überdurchschnittlich gut gebildet. Gleichzeitig sind unter ihnen aber auch „normale“ Freelancer, die über die algorithmische Vermittlung von Plattformen mit Auftraggebern zusammengeführt werden. Besonders letztere würden sich häufig die Bezeichnung als „Plattformarbeiter“ oder „Crowdworker“ verbitten.

Von der Zahl angemeldeter (!) Plattformnutzer in Deutschland (die je nach Plattformdefinition sehr groß sein kann) sollte man sich nicht sonderlich beeindrucken lassen. Sie sagt erst einmal nichts über die Ausprägung von Plattformarbeit aus, da nur ein Bruchteil der Nutzer auch regelmäßig aktiv ist. Zudem melden sich viele nicht nur auf einer einzigen Plattform an. Wer sich aus Neugier auf diversen Plattformen registriert (wie wahrscheinlich fast alle die sich für das Thema interessieren), ist noch lange kein Crowdworker.

Wie viele Personen sind also wirklich auf Plattformarbeit angewiesen oder versuchen davon zu leben? Wer sich in das Thema einarbeitet, stellt schnell überrascht fest, wie winzig das Phänomen in Deutschland tatsächlich ist. „[M]an möchte meinen, es gibt mehr Juristen, die sich mit Crowdwork beschäftigen, als es Crowdworker gibt“ bemerkt der Hamburger Arbeitsrechtler Andreas Zöllner nach einer Wissenschaftstagung zu neuen Arbeitsformen. Konkret geht beispielsweise eine Studie unter Beteiligung der Gewerkschaft ver.di von maximal 1000 bis 5000 „Vollzeit“-Onlinearbeitern in Deutschland aus – was nicht bedeutet, dass diese auch Geringverdiener sein müssen.

Zwangsläufig stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der (Regulierungs-)Diskussion. Konkrete Regulierungsvorschläge sind oft kreativ, nicht selten skurril und manchmal absurd – vor allem, wenn sie bewährtes Arbeits-, Tarif-, Sozial- oder Wettbewerbsrecht komplett auf den Kopf stellen, sämtliches Potential der Plattformökonomie im Keim ersticken würden und überhaupt nicht im Interesse der Betroffenen sind. Die zentrale Frage sollte sein, wer hier überhaupt vor was geschützt werden muss – nicht, wie man „den Plattformen“ (in etwa sowas wie „das Internet“) das Handwerk legen kann. Im Kern geht es um den Umgang mit Solo-Selbständigen. Über deren bessere soziale Absicherung kann man diskutieren – hier tut sich derzeit einiges. Selbstständigkeit jedoch als bemitleidenswerte, prekäre Arbeitsform zu framen, ist nicht nur unsinnig und falsch, sondern auch höchst kontraproduktiv. Wer „Scheinselbstständige“ beschäftigt – ob als Plattform oder nicht – handelt auch heute schon rechtswidrig und macht sich strafbar. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Plattformen (auch das gibt’s) haben die gleichen Rechte und Pflichten wie andere Beschäftigte auch.

Wie sich Plattformarbeit entwickelt, bleibt abzuwarten. Trotz zunehmender Bekanntheit von Crowdworking-Plattformen sind laut Umfragen selbst Unternehmen aus augenscheinlich prädestinierten Branchen wenig interessiert zukünftig verstärkt Arbeitsaufträge an die Crowd auszuschreiben – viele Arbeitsinhalte eignen sich schlicht nicht zum outsourcen.

Wer Digitalisierung als Chance begreifen will, sollte deren Potential nicht gleich kaputtregulieren. Eine Vielfalt an Nebenverdienstmöglichkeiten, passgenaue Auftragsvermittlung und einfacher Zugang zu Arbeit sind erstmal etwas Positives. Fehlentwicklungen müssen selbstverständlich angegangen werden, dafür braucht es aber auch eine solide Erkenntnisgrundlage. Evidenzbasierte Politik und so.

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