Schluss mit der „Elitenpanik“ in Unternehmen!

von Anna Kaiser

Tandemploy-Gründerin Anna Kaiser glaubt, dass fast jeder Mitarbeitende Wandel gestalten kann - und erklärt, warum systemkonformes Verhalten echte Veränderung blockiert.

Anna Kaiser ist Gründerin und CEO von Tandemploy

Wir sind alle Ys. Egal welcher Generation wir angehören oder welche Chromosomen-Kombination wir in uns tragen.

Y steht für das Menschenbild, das die Grundlage für die Transformation unserer Arbeitswelt bildet. Es stammt von Douglas McGregor. Bereits 1960 hat er seine Theorie der zwei Menschenbilder veröffentlicht. Sie sollen auf einfache Weise beschreiben, wie der Mensch von Natur aus ist, wie er tickt. Er unterschied das Menschenbild X und das Menschenbild Y. Menschenbild X geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus antriebslos ist. Er meidet Arbeit, wann immer es geht, ist nicht kreativ, übernimmt nicht gern Verantwortung und muss durch äußere Anreize, also extrinsisch, dazu motiviert werden, produktiv zu sein. Demgegenüber steht das Menschenbild Y, demzufolge der Mensch arbeiten möchte, von Natur aus kreativ ist, gern Verantwortung übernimmt und intrinsisch motiviert ist, also keine Belohnung von außen benötigt, um seinen Beitrag zu leisten.

Wenn ich behaupte, es gibt keine X-Menschen, sondern nur Y-Menschen, höre ich schon die "Ja, aber...."s:

"Ja, aber ich kenne da einen, der delegiert nur und lässt immer andere für sich arbeiten, während er die Lorbeeren einheimst."

"Ja, aber ich hatte da mal eine Kollegin, die war eigentlich nur auf Facebook unterwegs, während wir die ganze Arbeit an der Backe hatten."

"Ja, aber warum verdient mein Vorgesetzter dann drei Mal so viel, während wir die eigentliche kreative Leistung bringen?"

Systemkonformes Verhalten blockiert echte Veränderung

Lassen diese Beobachtungen wirklich darauf schließen, wie diese Kolleg*innen von Natur aus sind? Oder handelt es nicht viel mehr um Verhaltensweisen, die wir beobachten? Die Antwort ist einfach: Wir können nur sehen, was Menschen tun, wie sie sich verhalten, nicht aber, wie sie wirklich ticken. Verhalten wiederum ergibt sich immer auch aus dem Umfeld, in dem sie sich bewegen. Sprich: Wer in einer Organisation sozialisiert wurde, in der Einzelkämpfertum belohnt wird, Fehler bestraft werden und in der Kreativität regelmäßig im Keim erstickt, wird sein Verhalten - bewusst oder unbewusst - daran ausrichten. Jemand, der nur abarbeitet, ohne zu wissen, wofür das Ganze gut sein soll, welchem Sinn es dient (außer der Mehrung des Gehalts einiger weniger Menschen ganz oben in der Pyramide), wird wenig intrinsische Motivation verspüren, die Organisation voranzubringen. In streng hierarchischen Unternehmen ist so über Jahrzehnte das "System X" entstanden, das auf Kontrolle und Belohnung setzt, auf Zuckerbrot und Peitsche.

"Der Mensch braucht das", heißt es dann immer. Vor allem von denen, die von vom "System X" profitieren und mit allen Mitteln versuchen, es aufrecht zu erhalten. Die Autorin Rebecca Solnit hat in einem anderen Zusammenhang über "Elite Panic" geschrieben, was es meiner Meinung nach gut trifft. Diese entsteht nämlich dadurch, dass "Machthaber die Menschheit für ihr eigenes Ebenbild halten". Sprich: Veränderungsverweigerer in den Top-Führungsetagen unterstellen ihren Mitarbeitenden mangelnde Arbeitsbereitschaft und Motivation - weil sie es von sich selbst nicht anders kennen. Fairerweise muss man dazu sagen, dass auch sie "Produkt" des Systems X sind, denn nur so konnten sie es überhaupt an seine Spitze schaffen. Auch sie haben ihr Verhalten über viele Jahre daran ausgerichtet. Und so erhält sich das System X aufrecht, bis....

Alte X-Strukturen haben ausgedient!

…bis jetzt! Denn mit der Digitalisierung bröckeln die alten Strukturen. Junge Menschen, die in einer globalen und vernetzten Welt aufwachsen, die aus einer Vielfalt an Lebens- und Karrierewegen wählen können, die die Folgen des Höher-Schneller-Weiter der vergangenen Jahrzehnte spüren, die satt sind vom Überfluss, lassen sich nicht mehr in das System X pressen. Und auch immer mehr Menschen der "Generation X" erkennen, dass sich die Aufgaben von heute nicht mehr in den Strukturen von gestern bewältigen lassen. Viele von ihnen spüren zunehmend den Graben zwischen dem, was sie als Menschen ausmacht und dem, was sie da eigentlich jeden Tag tun (müssen). Diese Erkenntnis ist gut! Sie ist der Beginn von Veränderung. Schwieriger wird es, die zu erreichen, die diese Verbindung zu sich selbst über Jahrzehnte verloren haben. Hier braucht es die Beschäftigung mit ganz neuen, auch therapeutischen Methoden und Formaten, um tief verwurzelte Denk- und Verhaltensmuster aufzubrechen.

Zeit für Organisationen, die das Beste in uns wecken

Lasst uns heute damit anfangen! Denn im Innersten sind alle Menschen "Y-Menschen". Wir alle wollen lernen und mitgestalten. Wir sind kreativ und in der Lage, Lösungen für sämtliche Herausforderungen zu finden, die uns auf unserem Weg begegnen - wenn nicht allein, dann im Austausch mit anderen. Das alles können wir nicht, weil wir es können müssen oder dafür belohnt werden, sondern weil es in unserer Natur liegt. Es ist höchste Zeit, Systeme zu bauen, die dem gerecht werden. Y-Systeme. Menschliche Organisationen, die Vertrauen in ihre Mitarbeitenden und ihre Fähigkeiten haben, die es verstehen, den Sinn, dessen, was sie tun, an jede*n Einzelne*n in der Organisation zu vermitteln und so die intrinsische Motivation anzusprechen. Unternehmen müssen sich bewusst machen, dass viele Menschen tagtäglich acht Stunden in ihren Silos versauern, um nach Feierabend Häuser zu bauen, Sportvereine zu leiten, liebevolle Eltern zu sein, einen Marathon zu laufen, der dementen Nachbarin zu helfen - weil sie es wollen, weil sie es können und weil sie die Freiheit haben, es zu tun.

Welchen Teil in euch und anderen wollt ihr nähren?

Rutger Bregman verweist in seinem großartigen Buch „Im Grunde gut – Eine neue Geschichte der Menschheit“ auf eine Parabel, die seit einigen Jahren im Netz kursiert. Sie geht sinngemäß so:

Ein alter Indianer sitzt mit seinem Sohn am Lagerfeuer und spricht:

“Mein Sohn, in jedem von uns tobt ein Kampf zwischen 2 Wölfen.

Der eine Wolf ist böse. Er kämpft mit Neid, Eifersucht, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Lügen, Überheblichkeit, Egoismus und Missgunst.

Der andere Wolf ist gut. Er kämpft mit Liebe, Freude, Frieden, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit.”

Der Sohn fragt: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt?“

Der alte Indianer schweigt eine Weile.

Dann sagt er: „Der, den du fütterst.“

Welchen wollt ihr füttern?

Anna Kaiser ist Gründerin und CEO von Tandemploy. Auf der #futurework20 diskutierte sie gemeinsam mit Ilka Horstmeier (Vorstand BMW), Jeannine Koch (Direktorin re:publica) und Björn Böhning (Staatssekretär Bundesarbeitsministerium) über New Work. Hier geht's zum Video.

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